b) Fragen von Betroffenen
Frage: An ein harmonisches Familientreffen ist nicht zu
denken Meine Tochter ist seit 13 Jahren drogenabhängig. Sie hat
zwei Kinder im Alter von vier und sechs Jahren. Die Kinder leben bei meinem Mann und mir.
Sie fragen oft nach der Mutter. Wenn meine Tochter ihre Kinder trifft, befindet sie sich in der Regel in einem
verheerenden Zustand. An ein harmonisches Familientreffen ist nicht zu denken. Die
Kinder sind dann immer ganz still und machen einen angstvollen Eindruck auf mich. Abends im Bett stellen sie Fragen wie:
"Warum macht die Mama das? Wird die Mama wieder gesund? Wann lebt die Mama richtig bei uns?". Für
meinen Mann und mich ist das kaum noch auszuhalten. Am liebsten würde ich meine Tochter von den Kindern
fern halten und nicht mehr ins Haus lassen. Antwort: Dr. Werner Singer Es ist verständlich, dass Sie überlegen, den
Kontakt der Kinder mit der Mutter zu unterbinden. Die Kinder erfahren offenbar darüber ja nichts Gutes. Den
Verzicht auf diese eher problematische mütterliche Liebe verkraften die Kinder, wenn sie
dafür etwas bekommen, und das wäre Klarheit und Orientierung sowie eine
konstante positive gefühlsmäßige Zuwendung, die in dieser Zeit wichtig ist für die
Entwicklung von Kindern. Sie sollten sich auch juristisch beraten lassen, damit ihr Vorgehen abgesichert ist. Unter
Einschaltung des Jugendamtes kann man das Sorgerecht neu definieren lassen oder eine
andere Rechtsform suchen, die Ihnen nicht nur Verpflichtungen, sondern auch Rechte an die Hand gibt. Frage: Wie soll ich meinen Verdacht erklären? Eine meiner Schülerinnen
wurde in der letzten Zeit immer auffälliger. Sie kommt zu spät zum Unterricht, hat selten die
Hausaufgaben gemacht, ist oft müde. Ich habe schon Kontakt zu den Eltern aufgenommen, die stellen aber
keine Veränderungen fest. Nachdem meine Schülerin ein paar Tage nicht mehr zum Unterricht erschienen ist, mache ich mir doch ernsthaft Sorgen . Zwar bekommt die Schule
Krankmeldungen, meine Gedanken gehen aber immer deutlicher in Richtung Drogen. Ich werde mit ihr sprechen. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich aber nicht, wie ich ihr
meinen Verdacht erklären soll. Ist es ratsam Kollegen einzubeziehen, obwohl ich doch gar nicht weiß, ob sie tatsächlich Drogen konsumiert? Antwort: Dr. Werner Singer Die Auffälligkeiten der Schülerin sollten die Überlegung einschließen, dass sie Drogen nimmt. Mit ihr zu
sprechen, halte ich auch für notwendig. Ich würde ihr verschiedene Gedanken mitteilen, wie
Beziehungsprobleme und die Möglichkeit der Drogeneinnahme. Vorsicht ist geboten, wenn Sie Kollegen mit einbeziehen wollen. Die Schülerin könnte schnell an ein
Tribunal denken. Entscheidend wird sein, ob Vertrauen zwischen Ihnen beiden besteht. Sollte ein anderer Kollege oder eine Kollegin mehr Vertrauen genießen, würde ich diese Aufgabe delegieren. Frage: Soll ich meinen Sohn fragen? Mein Sohn hat in letzter Zeit häufig
gerötete Augen und unveränderte (starre) Pupillen. Ich habe mal gelesen, dass diese Symptome auf Medikamenteneinnahme zurückzuführen seien. Unser Verhältnis ist sehr gut. Ich weiß nicht, ob ich ihn fragen soll, ob er irgend etwas nimmt, vielleicht diese
Techno-Pillen. Ich habe Angst davor, dass dann unsere vertrauensvolle Beziehung zerstört wird. Antwort: Dr. Werner Singer Ihre Wahrnehmung Ihrem Sohn mitzuteilen, dass er Ihnen
veändert vorkommt und Sie auch körperliche Auffälligkeiten beobachten, halte ich für einen
normalen kommunikativen Vorgang innerhalb einer Familie. Wenn es Ihnen gelingt, den
richtigen Ton zu treffen, wird er dies nicht als Ausdruck von "Schnüffeleien" verstehen und
mit Misstrauen beantworten. Behalten Sie Ihre Sorgen für sich und fressen sie diese in sich hinein, wird Ihre beiderseitige
Beziehung auf Dauer sehr belastet werden. Frage: Bettler in der Stadt In unserer Stadt werde ich von Menschen angesprochen, die Geld haben wollen für eine Mahlzeit. Das sind
Frauen und Männer, die wahrscheinlich von Alkohol abhängig sind und keine Wohnung haben. Da ich nicht so naiv bin zu glauben, dass meine Spende wirklich für Brot oder Suppe ausgegeben wird, habe ich
immer Skrupel, etwas zu geben. Ich würde doch damit indirekt die Abhängigkeit unterstützen. Oder? Antwort: Dr. Werner Singer Vermutlich haben Sie recht, dass viele derartige Spenden nicht für die notwendige Ernährung verwendet werden. Es ist anerkennenswert, dass Sie aus humanitären Motiven gerne Menschen helfen wollen. Ich würde Ihnen
eher raten, sich mit einer Spende an karitative Initiativen zu wenden. So haben Sie die Sicherheit, dass dieses beschriebene Elend mit Ihrem Einsatz ein
wenig gelindert werden kann und nicht, wie Sie befürchten, nur verlängert wird. Frage: Meine Tochter ist heroinabhängig Meine Tochter ist 34 Jahre alt. Sie hatte einen
sehr guten Arbeitsplatz als Bankangestellte. Sie hat ihn vor kurzem verloren, weil sie ihn auf Grund ihrer
Heroinabhängigkeit nicht mehr ausfüllen konnte. Ihr Geld verdient Sie nun durch
Prostitution. Sie lebt bei mir zu Hause, und ich bringe es auch nicht übers Herz,
sie hinauszuschmeißen oder ihr den Schlüssel abzunehmen. Sie tut nichts, lebt auf meine Kosten, und meistens liegt
sie auf dem Sofa und schläft. Manchmal bringt sie Freunde mit nach Hause. Auch ihr
Dealer verkehrt bei uns. Wenn ich ihr sage, dass ich nicht will, dass sie Freunde mit nach Hause bringt,
macht sie Theater und beschimpft mich. Ich möchte, dass sie eine Therapie macht. Mal will sie das auch, dann wieder nicht. Ich weiß nicht, wie ich
sie überzeugen kann, eine Therapie zu machen. Hinzu kommt, dass mein Mann mit einem Schlaganfall ebenfalls ein Pflegefall ist.
Meine Kräfte sind erschöpft. Was können Sie mir raten? Antwort: Dr. Werner Singer Sicher ist es verständlich, dass Sie als Mutter
soviel Geduld und Mitgefühl für Ihre Tochter aufbringen. Aber wie Sie selbst leider
feststellen müssen, helfen Sie Ihrer Tochter nicht wirklich, aus der Sucht hinauszufinden. So wird sich
nichts ändern. Ich halte es für vernünftig und realistisch, wenn Sie der Tochter
Grenzen setzen oder ihr ein Ultimatum stellen. Entscheidend ist, dass Sie darin auch Ihr Vorgehen genau danach ausrichten. Sie können einen
Zeitpunkt festsetzen, bis zu dem Ihre Tochter sich für eine Hilfe von außen entschließen muss, und danach Ihre
Hilfe und Duldsamkeit ein Ende findet. Sie können auch andere Grenzen formulieren, es gibt da keine richtigen oder falschen Vorgehensweisen.
Eltern suchen häufig viel zu lange nach dem richtigen Weg. Sollte Ihre
Tochter dieses Vorgehen boykottieren, sollten Sie, so meine ich, sich von ihr trennen. Das ist
sicherlich schwer, aber wenn Sie nachgeben und die Grenzen wieder aufheben, verlängern Sie nur den beschriebenen
Zustand. Es ist ein typischer Vorgang, dass abhängige Menschen nicht nur sich selbst
ruinieren, sondern immer noch einige andere mit hineinziehen. Auch Sie haben das Recht, für sich
selbst zu sorgen und ihr eigenes Leben leben zu können. Auch das muss geschützt werden.
Frage: Ich habe einen alkoholabhängigen Vorgesetzten Dass es Alkohol am Arbeitsplatz gibt, wird ja heute in keiner seriösen Firma mehr geleugnet. Ich bin Mutter eines
heroinabhängigen Jungen. Dadurch habe ich Erfahrung mit Selbsthilfegruppen. Dort versuchen wir immer wieder unser
Verhalten zu reflektieren und unsere Co-Abhängigkeit zu erkennen. Therapeuten, die wir einladen, sagen uns, es ist
unbedingt notwendig, sich mit der Situation nicht abzufinden, sondern die Betroffenen
mit ihrer Sucht zu konfrontieren. Nun frage ich Sie, wie soll das denn gehen, wenn Sie
einen alkoholabhängigen Vorgesetzten haben? In unserer Firma arbeiten 13 Angestellte. Jeder weiß, dass unser Vorgesetzter ein Alkoholproblem hat. Seine Launen schwanken zwischen nett,
rücksichtsvoll, aggressiv und runtermachend. Die negativen Launen überwiegen. Manchmal ist das
Arbeitsklima in unserer Abteilung unerträglich. Außerdem hat er ein Personalsystem aufgebaut, das ihn in meinen Augen vor
Entlarvung schützen soll. Für mich sind manche Kollegen Co-Abhängige. So gehen wir noch nicht einmal
untereinander offen mit dem Problem um, geschweige denn, dass wir mit dem Geschäftsführer
unserer Firma darüber sprechen. Die Angst vor negativen Folgen ist zu groß. Hilft da nur zugucken oder kündigen? Antwort: Dr. Werner Singer Eine Kündigung oder nur
zugucken, beide Fälle wären für Sie leidvolle Schritte, getan aus einer
Ohnmacht gegenüber einem übermächtigen und destruktiven Vorgesetzten, der in seinem Verhalten schon dem
Bild eines Alkoholikers entspricht. Ihn selbst damit zu konfrontieren, wird kaum möglich sein. Aber prüfen Sie, den
Geschäftsführer in Kenntnis zu setzen, den Betriebsrat zu befragen oder andere Ansprechpartner zu finden, die nicht in dieses System des Alkoholikers eingesponnen sind. Wenn Sie
besonnen handeln, werden Sie sich besser fühlen und keine Resignation eingehen.
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